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Kolumne von Dr. Dietrich Mack


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Wien in Saus und Strauss

Als Freunde und Bekannte hörten, dass ich zum Jahreswechsel nach Wien reise, sagten alle: Bestimmt geht er ins Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Die Ahnungslosen! An diesem Tag öffnen sich die Pforten zum Goldenen Saal im Musikverein nur für sehr große Glückspilze (Anmeldung zur Verlosung der Karten ab Februar), Spezls der Freunderlwirtschaft, Honoratioren und Geldadel aus fernen Ländern, die auf dem Schwarzmarkt für Tickets viele Tausend Euros rüberschieben. Die anderen 50 Millionen sitzen wie ich vor dem Fernseher und fiebern dem „Donauwalzer" und „Radetzkymarsch" entgegen.
Der Grund meiner Reise war der 200. Geburtstag von Johann Strauss (diese Schreibweise wird in Wien eindeutig dokumentiert). Schon in der kalten Silvesternacht gab es im Konzerthaus „Anpiff mit Strauss". am breiten prunkvollen „Graben" Punsch und Walzerunterricht für jedermann, am Rathausplatz ein außergewöhnliches Neuarrangement des „Donauwalzers" von und mit Max Grubinger und seiner Superband, am Stephansplatz versagten zwar um Mitternacht die Feuerwerker, aber nicht der Walzerkönig. Die Pummerin dröhnte und der Donauwalzer war in allen Medien und Gassen gegenwärtig. 800 000 Menschen waren bei diesem „Silvesterpfad" unterwegs. Strauss für Alle und mit Allen. So wird es weiter gehen. Ein Jahr lang wird Wien den 200. Geburtstag von Strauss am 25. Oktober in einer nie dagewesenen Opulenz feiern. Strauss als Pop-Star, der die sozialen Schranken aufhob und schon zu Lebzeiten Millionen Menschen in aller Welt begeisterte und selbst steinreich wurde.
Das Programmbuch zu diesem Jubeljahr hat 286 Seiten, vorangestellt ist das aufmunternde Zitat: „Mag da kommen, was da immer kommen mag, Lust und Freude bringe uns ein jeder Tag" (aus der Operette „Waldmeister“). Natürlich gibt es klassische, hochkarätig besetzte Konzerte vor allem im Oktober, aber das Spektrum ist breit und innovativ, reicht von Operette und Schauspiel über Film, Tanz, Zirkus, Performance, Kunstinstallationen, Ausstellungen bis zu Lesungen und wissenschaftlichen Vorträgen. Man kann Raritäten wie „Cagliostro in Wien" oder die Biodiversität der Fledermäuse, acht Operetten, Thementage, fünfzig Locations und vieles mehr erleben. Wien, die Königin der Musik, feiert den Walzerkönig im Superlativ.
Gegenüber der „Sezession" hat die Stadt ein brandneues, immersive und interactive gestaltetes Strauss-Museum eröffnet. In dieser Multimediashow ersteht (so der Titel) Strauss in neuen Dimensionen.
Sein Familienleben war gar nicht lustig, vor allem das Verhältnis zu dem berühmten Vater, der seine Karriere zu verhindern versuchte und die Familie verließ. Man erlebt die Geschichte des Donauwalzers, dessen Welterfolg nicht in Wien, sondern in Paris bei der Weltausstellung 1867 begann. Man taucht ein in die riesigen Musiksäle, in denen alle Schichten der Bevölkerung vom Straussfieber ergriffen wurden. In Boston waren es 50 000 Fans und 1000 Orchestermusiker, davon 400 Streicher. Strauss mit der Geige immer voran und mit dem Bogen dirigierend. 500 Stücke, davon fast 200 Walzer hat er komponiert. 1899 trugen mehr als 100000 Wiener diesen Superstar zu Grabe. Obwohl Strauss Achteljude war, vereinnahmten die Nazis seine Musik 1939 für ein Silvesterkonzert, ab 1941 für das erste Neujahrskonzert. Mit leichter Musik sollte damals die Volksgemeinschaft gestärkt werden, heute der Ruhm Österreichs und Wiens ganz besonders.
Aber Strauss war nicht nur ein Popstar, ein „Goldener Schani", sondern ein von vielen berühmten Kollegen aus der Klassik bewunderter Musiker, ein Melodiker. Richard Wagner rühmte Anmut und Feinheit, Maurice Ravel Rhythmik und Lebensfreude, Richard Strauss (nicht verwandt, nicht verschwägert!) das Urmelodische, der fromme Anton Bruckner schätzte einen Walzer von Strauss mehr als eine Sinfonie von Johannes Brahms. Was Strauss dazu wohl gesagt hätte? Er war mit Brahms eng befreundet, der unter die Partitur des Donauwalzers schrieb: „Leider nicht von mir.“ Sie alle waren sich einig: Strauss „triefe“ von Musik. Man müsse ihn so ernst nehmen wie die Matthäuspassion, meinte Nikolaus Harnoncourt. Diesen Musiker, der Lebensfreude schenkt, feiert nun Wien ein Jahr lang. Gemma.

Mit diesem Text begann alles im Jahr 2015...

Unausweichlich: der Jahreswechsel kommt

In vielen Familien haben Silvester und Neujahr feste Rituale. Diese Familien sind glücklich. Ich beneide sie. Bei uns beginnt die Diskussion jedes Jahr von neuem, wenn die Supermärkte die Osterhasen in Weihnachtsmänner umgeschmolzen haben, also im Spätsommer. Sie verschärft sich von Tag zu Tag. Meine Frau, ein Zwilling, ist mit Harmonie und Unentschlossenheit gesegnet. Um mich zu
besänftigen, sagte sie schließlich: „Wien, das wird dir gefallen.“ Viele Jahre habe ich dort studiert, gearbeitet und vor allem gelebt. Meine seligen Erinnerungen kennt sie auswendig, wie das in guten Ehen üblich ist. Wohnen, wo Pavarotti Pasta kochte, Tafelspitz bei Plachutta, Stöbern im Dorotheum, Häppchen mit Pfiff bei Trzesniewsky, Hawelka gegenüber, Stadtheuriger, Krönungsmesse in der Hofburg. Perfekt – dachte ich. Meine Frau nickte ergeben:„Aber nur, wenn wir ins Neujahrskonzert gehen.“ Ich hielt die Luft an. Sie wollte in den Musikvereinssaal, in diesen goldenen Tempel der klassischen Musik. Ein normales Abonnement für die Wiener Philharmoniker ist als Erbschaft begehrter als ein prall gefülltes Nummernkonto. Als Studenten mussten wir auf viele Heurige verzichten und viele Schillinge für Trinkgelder locker machen, um dort Konzerte mit neuer Musik zu hören, also alles nach Wagner, Strauss mal ausgenommen. Ins Neujahrskonzert kam ich nie. Die Eltern meines Freundes aus Texas hatten es ein Mal geschafft. Sie wohnten im Sacher, erwarben sich das Wohlwollen des Chefportiers, der ihnen mit seinen gekreuzten goldenen Schlüsseln das Neujahrskonzert aufschloss. Große Geldscheine umwölkten meine Stirn. Als ich zum Telefon griff, riet mir meine Frau zum Internet, das sei nicht so vornehm, aber sicher preiswerter. Ich fand ein Ticketcenter, das Karten in der besten Kategorie anbot. Meine Lesebrille beschlug sich. Meine Frau hörte mein Stöhnen: „Such bei ebay“. Neue Hoffnung, neue Eingabe. Viele Neujahrskonzerte auf CD, MP3, DVD, Bilder, Bücher und, irgendwo versteckt, 2 Karten gegen Höchstgebot, 5400 (in Worten fünftausendvierhundert) Euro, nicht Schilling. „Immerhin“, sagte meine Frau, „billiger als beim Ticketcenter“.
Dort sollten zwei Karten 7800 Euro kosten, beste Kategorie. Meine Frau gab nicht auf: „Stehplatz, das macht uns jünger.“ Ich schaute auf den Bildschirm: Ärmer! Zwei Karten 1500 Euro. Ein letztes Aufbäumen: „Erinnere dich an die geteilte Walküre? Jeder eine Halbzeit auf Stehplatz.“ Ich rechnete: das wären läppische 375 Euro für jeden, Stehplatz, eine Halbzeit. Wir schauten uns an,
lachten und beschlossen, Jahresabonnements für die Opern in Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Freiburg und viele schöne Konzertreihen zu kaufen. Auch das Festspielhaus in Baden-Baden werden wir uns leisten. Wir hatten ja viel gespart. Aber nach Wien reisen wir trotzdem. Ich will mich mit dem Mann mit den goldenen Schlüsseln unterhalten, vertraulich. Neujahr bleibt unausweichlich.