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Kolumne von Dr. Dietrich Mack



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Schlag nach bei Shakespeare
Glücklich sind Menschen, die Erinnerungen verklären und nicht als Last mit sich herumschleppen. So geht es mir mit Julia Klöckner, seit ich ihr im Saalbau in Neustadt an der Weinstraße bei der Krönung zur Deutschen Weinkönigin zu Füßen lag. Nun ja, ich lag ihr im Saalbau nicht zu Füßen, aber ich jubelte der 22jährigen Königin während des Umzugs durch die Stadt an jeder Straßenecke zu und sammelte Luftküsse ein. Später verlor ich sie aus dem Herzen, las hin und wieder von ihrer politischen Karriere bis zum zweithöchsten Staatsamt in Deutschland. Ob sie im Parlament das Zepter ebenso souverän schwingt wie als Weinkönigin, will ich hier nicht wägen. Aber sie verbreitet immer noch gute Laune im Feld der grauen Politmäuse. Nun hat sie mit ihrer Liebesgeschichte von den düsteren Katastrophen, die auch im Sommerloch nicht enden wollen, ein wenig abgelenkt. Viele Medien feierten sie und den Quizmaster Jörg Pilawa als neues Traumpaar, viele sogar als Liebespaar, was ja etwas anderes ist, und verglichen sie mit Romeo und Julia. Sehen wir mal von den kleinlichen Hinweisen auf das Alter dieses Paares, den Namen des Liebhabers und dessen Schwierigkeit, die entscheidende Szene, in der Romeo Julias Cousin Tybalt tötet, als Fecht- und nicht als  Quizduell zu führen ab -  schon aus alter Verbundenheit wünsche ich der ehemaligen Weinkönigin nicht das herbe Los von Shakespeares Julia. Das alles ist natürlich etwas oberflächlich und dem Sommerloch geschuldet.
Aber bei Shakespeare nachzuschlagen, ist immer hilfreich, wenn man, wie schon Faust seinen Schüler Wagner lehrte, das wahre Leben und damit auch unsere mächtigen Politiker verstehen will, natürlich nicht in einem plumpen äußerlichen Sinn, sondern um des Pudels Kern willen, um nochmals Goethe zu bemühen.
Joe Biden und Olaf Scholz haben äußerlich gar keine Ähnlichkeit mit unserem Bild von Hamlet, dem jugendlichen Prinzen von Dänemark. Aber wenn man in dem berühmten Monolog „Sein oder Nichtsein“ liest, dass das Gewissen Feiglinge aus uns alle macht und der angeborenen Farbe der Entschließung des Gedankens Blässe angekränkelt wird, so dass wir zögerlich werden und nicht mehr die Kraft zum Handeln haben, dann wirkt das wie ein Kommentar zum Charakter dieser beiden Politiker.
Putin und Marie Le Pen sind Machtmenschen wie Macbeth und Lady Macbeth, den Shakespeare einen Bluthund und seine höll’sche Königin nennt. Sie sind machtgierig und skrupellos. Wer mich aufhält, „wer ‚Halt‘ zuerst ruft, soll zur Hölle fahren“, sind Macbeths letzte Worte. Ob das auch Putins Ende sein wird?
Selensky erinnert an Henry V., der als Außenseiter zu einem charismatischen Führer wird, berühmt durch seine Reden: Wir sind wenige, aber geeint und unsere Sache ist gerecht. („We few, we happy few, we band of brothers“). Ihm gelingt der Frieden, aber nach seinem frühen Tod beginnen die Kämpfe erneut. Es gab keine Sicherheitsgarantien.
Trump hätte Shakespeare ein Dramen-Denkmal gesetzt. Eine pralle Figur. Wie Falstaff ist er ein größenwahnsinniger Selbstdarsteller, der theatralische Auftritte liebt und die Wahrheit manipuliert; er ist machtgierig wie Richard III, aber auch charismatisch wie Otello, der durch Misstrauen untergeht. An seiner Seite Jago, ein Aufsteiger wie JD Vance, ein skrupelloser  Karrierist, seine Waffen sind Intrige und Rhetorik. Wenn er lächelt, friert man.
So könnte man den wahren Charakter vieler Politiker bei Shakespeare entdecken. Manche kennen ihn, aber keiner schaut in den Spiegel. Hoffen wir also, dass es nicht so schlimm kommt, wie es schon ist (nicht von Goethe).

Mit diesem Text begann alles im Jahr 2015

Unausweichlich: der Jahreswechsel kommt

In vielen Familien haben Silvester und Neujahr feste Rituale. Diese Familien sind glücklich. Ich beneide sie. Bei uns beginnt die Diskussion jedes Jahr von neuem, wenn die Supermärkte die Osterhasen in Weihnachtsmänner umgeschmolzen haben, also im Spätsommer. Sie verschärft sich von Tag zu Tag. Meine Frau, ein Zwilling, ist mit Harmonie und Unentschlossenheit gesegnet. Um mich zu
besänftigen, sagte sie schließlich: „Wien, das wird dir gefallen.“ Viele Jahre habe ich dort studiert, gearbeitet und vor allem gelebt. Meine seligen Erinnerungen kennt sie auswendig, wie das in guten Ehen üblich ist. Wohnen, wo Pavarotti Pasta kochte, Tafelspitz bei Plachutta, Stöbern im Dorotheum, Häppchen mit Pfiff bei Trzesniewsky, Hawelka gegenüber, Stadtheuriger, Krönungsmesse in der Hofburg. Perfekt – dachte ich. Meine Frau nickte ergeben:„Aber nur, wenn wir ins Neujahrskonzert gehen.“ Ich hielt die Luft an. Sie wollte in den Musikvereinssaal, in diesen goldenen Tempel der klassischen Musik. Ein normales Abonnement für die Wiener Philharmoniker ist als Erbschaft begehrter als ein prall gefülltes Nummernkonto. Als Studenten mussten wir auf viele Heurige verzichten und viele Schillinge für Trinkgelder locker machen, um dort Konzerte mit neuer Musik zu hören, also alles nach Wagner, Strauss mal ausgenommen. Ins Neujahrskonzert kam ich nie. Die Eltern meines Freundes aus Texas hatten es ein Mal geschafft. Sie wohnten im Sacher, erwarben sich das Wohlwollen des Chefportiers, der ihnen mit seinen gekreuzten goldenen Schlüsseln das Neujahrskonzert aufschloss. Große Geldscheine umwölkten meine Stirn. Als ich zum Telefon griff, riet mir meine Frau zum Internet, das sei nicht so vornehm, aber sicher preiswerter. Ich fand ein Ticketcenter, das Karten in der besten Kategorie anbot. Meine Lesebrille beschlug sich. Meine Frau hörte mein Stöhnen: „Such bei ebay“. Neue Hoffnung, neue Eingabe. Viele Neujahrskonzerte auf CD, MP3, DVD, Bilder, Bücher und, irgendwo versteckt, 2 Karten gegen Höchstgebot, 5400 (in Worten fünftausendvierhundert) Euro, nicht Schilling. „Immerhin“, sagte meine Frau, „billiger als beim Ticketcenter“.
Dort sollten zwei Karten 7800 Euro kosten, beste Kategorie. Meine Frau gab nicht auf: „Stehplatz, das macht uns jünger.“ Ich schaute auf den Bildschirm: Ärmer! Zwei Karten 1500 Euro. Ein letztes Aufbäumen: „Erinnere dich an die geteilte Walküre? Jeder eine Halbzeit auf Stehplatz.“ Ich rechnete: das wären läppische 375 Euro für jeden, Stehplatz, eine Halbzeit. Wir schauten uns an,
lachten und beschlossen, Jahresabonnements für die Opern in Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Freiburg und viele schöne Konzertreihen zu kaufen. Auch das Festspielhaus in Baden-Baden werden wir uns leisten. Wir hatten ja viel gespart. Aber nach Wien reisen wir trotzdem. Ich will mich mit dem Mann mit den goldenen Schlüsseln unterhalten, vertraulich. Neujahr bleibt unausweichlich.